Geschichte der österr. Musik

Musikgeschichte Österreich

Einführung**
Österreich, insbesondere Wien, war über Jahrhunderte ein zentrales Kraftfeld der europäischen Musik. Durch das Habsburgerreich wurde es zum Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen, was die Musik entscheidend prägte. Die Geschichte reicht von den höfischen Klängen des Barock und der Wiener Klassik über den walzerdominierten "Volkston" des 19. Jahrhunderts bis zu den radikalen Brüchen der Wiener Moderne und einer vielfältigen zeitgenössischen Szene.

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1. Mittelalter & Renaissance (ca. 900 – 1600)**
**Allgemeine Charakteristik:** Geprägt von geistlicher Musik in Klöstern und erster höfischer Musik. Die Melodien waren modal (vor-dur-moll) und einstimmig bzw. polyphon.

*   **Stil:** Gregorianischer Choral, Minnesang, Mehrstimmigkeit.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Klösterliche Tradition:** Stifte wie St. Florian, Melk und Kremsmünster waren Zentren der Musikpflege und -produktion.
    *   **Minnesang:** Der bekannteste Vertreter im deutschsprachigen Raum ist **Walther von der Vogelweide** (um 1170 – um 1230), der auch am Wiener Hof der Babenberger wirkte.
    *   **Hofmusik:** Unter Kaiser Maximilian I. („Der letzte Ritter“) wurde die Hofkapelle zu einem bedeutenden Ensemble, zu dem Komponisten wie **Heinrich Isaac** gehörten.

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2. Barock (ca. 1600 – 1750)**
**Allgemeine Charakteristik:** Prunkvolle, ausdrucksstarke Musik mit starken Kontrasten. Die Oper und der instrumentale Concerto-Stil erblühten.

*   **Stil:** Barock, Frühklassik (Wiener Vorklassik).
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Wiener Hof:** Die Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. waren selbst musikalisch und komponierten.
    *   **Oper:** Der Hof war ein Zentrum der italienischen Oper. **Antonio Caldara** war ein äußerst produktiver Vizehofkapellmeister.
    *   **Instrumentalmusik:** **Heinrich Ignaz Franz Biber** (aus Böhmen) wirkte in Salzburg und schrieb virtuose Violinmusik.
    *   **Wiener Vorklassik:** Gegen Ende der Epoche bereiteten Komponisten wie **Georg Christoph Wagenseil** den Übergang zur Wiener Klassik vor, mit bereits galanteren und einfacheren Melodien.

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3. Wiener Klassik (ca. 1730 – 1820)**
**Allgemeine Charakteristik:** Die vielleicht bedeutendste Epoche der österreichischen Musikgeschichte. Die Musik strebte nach Klarheit, Balance, emotionaler Tiefe und formaler Perfektion. Die zentralen Gattungen Sinfonie, Streichquartett und Klaviersonate wurden maßgeblich entwickelt.

*   **Stil:** Wiener Klassik.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Wiener Schule:** Das Dreigestirn der Wiener Klassik prägte die Musik für immer:
        *   **Joseph Haydn (1732–1809):** „Vater der Sinfonie“ und des Streichquartetts. Schuf einen unverwechselbaren Stil mit Witz, Erfindungsreichtum und struktureller Meisterschaft.
        *   **Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791):** Das Universalgenie. Vereinbarte in seiner Musik italienische Kantabilität, deutsche Kontrapunktik und einzigartige psychologische Durchdringung. Meisterwerke in Oper („Die Zauberflöte“, „Don Giovanni“), Sinfonie, und Kammermusik.
        *   **Ludwig van Beethoven (1770–1827):** Obwohl gebürtiger Bonner, verbrachte er seinen Großteil seines Lebens in Wien und ist zentral für die Wiener Klassik. Er sprengte die klassischen Formen und bereitete die Romantik vor.
    *   **Umfeld:** Komponisten wie **Michael Haydn** (Bruder von Joseph) in Salzburg und **Antonio Salieri** (Hofkapellmeister und Lehrer von Beethoven, Schubert, Liszt) waren wichtige Figuren.

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4. Romantik (ca. 1820 – 1900)**
**Allgemeine Charakteristik:** Die Musik wurde subjektiver, gefühlvoller und nationaler. Die Orchester wurden größer, die Harmonik reicher.

#A) Frühromantik & Biedermeier**
*   **Stil:** Lied, Sinfonik, Walzer.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Franz Schubert (1797–1828):** Der erste große Liedkomponist (über 600 Lieder) und Schöpfer lyrischer, sanglicher Sinfonien und Klaviermusik. Steht zwischen Klassik und Romantik.
    *   **Wiener Walzer:** Vom ländlichen Ländler entwickelte sich der Wiener Walzer zum urbanen Tanzphänomen.
        *   **Johann Strauss Vater (1804–1849):** Machte den Walzer mit Werken wie dem „Radetzky-Marsch“ salonfähig.
        *   **Johann Strauss Sohn (1825–1899):** „Der Walzerkönig“. Erhob den Walzer zur Konzertmusik („An der schönen blauen Donau“, „Kaiserwalzer“). Seine Operetten („Die Fledermaus“) sind weltberühmt.

#B) Spätromantik**
*   **Stil:** Sinfonische Dichtung, Operette, Oper.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Anton Bruckner (1824–1896):** Schuf monumentale, spirituelle Sinfonien mit komplexer Polyphonie und einem einzigartigen Klangrausch.
    *   **Johannes Brahms (1833–1897):** Zog 1862 nach Wien. Seine Musik ist in der Form klassisch, in ihrem Ausdruck aber zutiefst romantisch (Sinfonien, Kammermusik, Deutsches Requiem).
    *   **Hugo Wolf (1860–1903):** Fortführer von Schuberts Liedtradition mit einer extrem engen Verbindung von Text und Musik.
    *   **Gustav Mahler (1860–1911):** Einer der letzten großen Sinfoniker. Seine riesenhaften Sinfonien sind „Welten“, die alle Aspekte des Lebens umfassen. Auch als Dirigent von Weltrang.
    *   **Operette:** Neben Strauss-Sohn prägten **Franz von Suppé** und **Carl Millöcker** die „Goldene Ära“ der Wiener Operette.

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5. Moderne & Wiener Schule (ca. 1900 – 1945)**
**Allgemeine Charakteristik:** Radikaler Bruch mit der Tonalität. Wien wurde zum Geburtsort der Atonalität und der Zwölftonmusik.

*   **Stil:** Spätromantik, Impressionismus, Expressionismus, Atonalität, Zwölftonmusik.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Alexander von Zemlinsky (1871–1942):** Lehrer und Schwager von Schönberg, blieb stärker in der Spätromantik verhaftet.
    *   **Zweite Wiener Schule:** Diese Trias revolutionierte die Musik des 20. Jahrhunderts:
        *   **Arnold Schönberg (1874–1951):** Durchbrach mit seinen atonalen Werken um 1908 die traditionelle Harmonik und entwickelte ab 1923 die „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ (Zwölftontechnik).
        *   **Alban Berg (1885–1935):** Verband die Zwölftontechnik mit spätromantischer Expressivität und großer emotionaler Wucht. Meisterwerke: Opern „Wozzeck“ und „Lulu“.
        *   **Anton Webern (1883–1945):** Reduzierte die Musik auf ihre Essenz („Klangpunktmusik“). Seine extrem kurzen, strukturierten Werke wurden nach 1945 zur Bibel der Serialisten.
    *   **Franz Lehár (1870–1948):** Führte mit Operetten wie „Die lustige Witwe“ die „Silberne Ära“ der Wiener Operette und verband sie mit spätromantischer Klangpracht.

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6. Zeitgenössische Musik & Avantgarde (nach 1945)**
**Allgemeine Charakteristik:** Nach dem Krieg und der NS-Zeit war die Szene gespalten zwischen der Fortführung der Serialistischen Schule und neuen, experimentellen Ansätzen.

*   **Stil:** Serialismus, Elektronische Musik, Klangkomposition, Postmoderne.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Fortführung der Moderne:**
        *   **Gottfried von Einem (1918–1996):** Erfolgreicher Opernkomponist („Dantons Tod“) mit zugänglicherem, neoklassizistischem Stil.
        *   **Friedrich Cerha (1926–2023):** Wichtiger Avantgardist, vollendete Bergs „Lulu“ und war Leiter des Ensembles „die reihe“.
    *   **Experimentelle und Elektronische Musik:**
        *   **Studio für Elektronische Musik am ORF:** Gründungsort für Pioniere wie **Karlheinz Stockhausen** (Deutschland, wirkte aber in Wien).
    *   **Klangkomposition („Wiener Klangschule“):**
        *   **György Ligeti (1923–2006):** Ungar, floh 1956 nach Wien. Berühmt für seine Klangflächen-Kompositionen („Atmosphères“), die in Filmen wie „2001: Odyssee im Weltraum“ verwendet wurden.
        *   **György Kurtág (*1926):** Schafft minimalistische, hochkonzentrierte und ausdrucksstarke Werke.

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7. Popularmusik im 20. & 21. Jahrhundert**
**Allgemeine Charakteristik:** Vom traditionellen Schrammelmusik-Stil über Austropop bis zu internationalem Elektro und Indie.

*   **Stil:** Schrammelmusik, Austropop, Rock, Pop, Elektronische Musik.
*   **Geschichte & Vertreter:**
    *   **Tradition & Volkstümliche Musik:**
        *   **Schrammelmusik:** Typisch wienerischer Stil mit Klarinette, zwei Geigen (später G-Klarinette und Harmonika) und Kontragitarre. Sehr gefühlvoll und „schmutzig“.
    *   **Austropop (ab 1970er):** Bewegung, die österreichisches Idiom mit internationaler Pop- und Rockmusik verband.
        *   **Wolfgang Ambros:** Dunkle, sozialkritische Texte im Dialekt („Schifoan“).
        *   **Georg Danzer:** Poetischer und introspektiver.
        *   **Rainhard Fendrich:** Kombinierte Pop mit Wiener Charme („I am from Austria“).
        *   **Falco (1957–1998):** Österreichs erster internationaler Superstar. Fusion von Rap, Rock und Pop („Rock Me Amadeus“).
    *   **Rock & Pop:**
        *   **Opus:** Internationaler Hit mit „Live Is Life“.
        *   **Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV):** Polit-Satire-Rock mit theatralischen Shows.
    *   **Elektronische Musik:**
        *   **Kruder & Dorfmeister:** Trip-Hop- und Downbeat-Pioniere mit internationalem Einfluss.
        *   **Parov Stelar:** Begründer des „Electro Swing“.
        *   **SOFA:** Qualitativ hochwertige Elektronik aus dem Umfeld des Labels.
    *   **Indie & Alternative:**
        *   **Wanda:** Erfolgreiche Indie-Pop-Band mit retro-schlagermäßigem Sound.
        *   **Bilderbuch:** Stilprägende, kunstvolle Pop-Band der 2010er Jahre.